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Denkwürdiges

Manche Ereignisse brennen sich unwiderruflich in das Gedächtnis ein. Man vergisst sie nie mehr.
So geschehen im Jahre 1983, als eine französische Mirage mit einem Kleinflugzeug kollidierte, welches sich gerade im Anflug auf den Biberacher Flugplatz befand. Die Mirage flog unweit der Firma Thomae (heute Boehringer) in eine Häusergruppe und richtete im Meisenweg ein flammendes Inferno an. Zehn Todesopfer gab es zu beklagen und Biberach erlangte traurige Berühmtheit.
Nur wenige Wochen später hatte ich ebenfalls ein Erlebnis, welches ich niemals vergessen werde: Ich traf in Wien den Burgschauspieler Oskar Werner, welcher beinahe Oscar-Preisträger geworden wäre. Rein zufällig, einfach so. Mit meinem damaligen Chef Peter Selinka, dem legendären Ravensburger Werbe-Guru und Kunstsammler, saß ich in der typischen Wiener Gastwirtschaft “ Zum alten Heller“ im 3. Bezirk. Der alte Heller war eine wunderbare Institution, weil die Tische miteinander redeten. Will heißen, es war üblich, dass sich die Gäste an den Nachbartischen miteinander völlig unbefangen unterhielten. Die Ober waren sogar sehr routiniert, um diese Gespräche zu forcieren.
An diesem Abend saß Oskar Werner völlig alleine an unserem Nebentisch. Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden heute in ein Lokal gehen und am Nebentisch säße George Clooney. Diese Bedeutung hatte Oskar Werner in den 70-er und 80-er Jahren in etwa.
Bei einem so berühmten Menschen hatte ich schon etwas Scheu; nicht so hingegen mein Chef: Ob Weltstar oder Reinmachefrau, Peter Selinka war ein absolutes Kommunikationsgenie. Binnen kürzester Zeit führten wir eine angeregte Unterhaltung mit dem weltberühmten Mimen. Er war –wie während dieser Zeitspanne leider üblich- ziemlich betrunken, war aber höchst unterhaltsam und unglaublich scharfzüngig.
Damals war es in Wien noch normal, dass sich die Prominenten unters Volk mischten. Ich hatte also zahlreiche dieser Begegnungen. Im Jahr 1989/1990 änderte sich das schlagartig: Mit dem Öffnen des Eisernen Vorhangs zog der ungebremste Massentourismus in Wien ein und die Prominenten sich zurück.
Jedenfalls unterhielten wir uns mit Oskar Werner über Gott und die Welt. Mich interessierte vor allem seine Erfahrung mit Julie Christie, jener bezaubernden Schauspielerin, mit der er den Kultfilm “Fahrenheit 451“ gedreht hatte und die mich in „Doktor Schiwago“ als Lara so unglaublich faszinierte. „Mit der konnte man nach dem Dreh wunderbar saufen“ war seine kurze und lapidare Antwort, die mich zugegebenermaßen ziemlich enttäuschte.
Im Laufe des Abends erkannte Oskar Werner, dass wir keine eingeborenen Wiener waren. Während er die böhmische Herkunft von Peter Selinka sofort erkannte, tat er sich bei mir schwerer, weil mein Wienerisch leicht schwäbisch durchwoben war und Oskar Werner fragte mich, woher ich komme. Als ich Biberach sagte, meinte er: „Dort ist Epochales geschehen“. Ich dachte, der meint den Flugzeugabsturz, aber weit gefehlt. „Dort hat einer der genialsten deutschsprachigen Schriftsteller Shakespeare zum ersten Mal in deutscher Sprache aufgeführt. Nicht Berlin, nicht Hamburg, nicht Köln, München, oder gar Wien. Nein Biberach!“
Und dann begann er, minutenlang aus Christoph Martin Wieland’s Oberon zu rezitieren. Rein aus dem Gedächtnis. Wie weggetreten. So als ob er im Burgtheater vor einer riesigen Menge Menschen sprechen würde. Im alten Heller wurde es mucksmäuschenstill; man hätte eine Stecknadel fallen hören, ehe die Gäste zu einem frenetischen Applaus ansetzten.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich den Oberon gar nicht kannte. Glücklicherweise hatte mein Vater ein Exemplar zu Hause und ich konnte die Stellen finden, die Oskar Werner so unnachahmlich zitierte.
Ein Jahr später starb Werner mit 61 Jahren überraschend in Marburg. Den alten Heller in Wien gibt es zwischenzeitlich auch nicht mehr.

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