Tiz und Kheira - eine "fast" perfekte Liebe
Wir schreiben das Jahr 1985. Oder 1986. Oder 1984. So genau weiss ich es nach der langen Zeit nicht mehr. Dass Tiz und Kheira überhaupt zusammengekommen sind, grenzt an ein Wunder. Die Frage, die sich mir stellt und die sich mir schon damals stellte: Wie groß muss die Macht des Verliebens sein, dass sie zwei Menschen zueinander bringt, die eigentlich gar nicht zueinander gehören.
Zunächst einmal muss ich Ihnen erklären, wer Tiz ist. Er war zunächst ein Geschäftspartner von mir, naja, sagen wir mal ein verborgener Geschäftspartner, denn offiziell war dieses Geschäft eigentlich nie. Über dieses „Geschäft“ sind wir Kumpels geworden. Vielleicht wäre Kumpane das bessere Wort. Freunde wäre zu hoch gegriffen.
Tiz hieß eigentlich Tizian, war ein uneheliches Kind, welches aus einem „Pantscherl“ entstanden ist, wie man in Wien sagt. In Deutschland spricht man eher von einem schlampigen Verhältnis, oder gar -je nach dem- von einem „one night stand“ Tiz erfuhr bis zum heutigen Tag nie, wer sein leiblicher Vater ist. Das Einzige, was ihm seine Mutter von ihm erzählte war, dass er ein genialer Maler war, was auch der Grund war, warum seine Mutter den gemeinsamen Sohn Tizian taufen ließ. Der war mit diesem Namen natürlich überhaupt nicht einverstanden, zumal seine Mutter auf den Namen Schlunzengruber hörte und er seit seiner Geburt demnach Tizian Schlunzengruber hieß. Er fühlte sich alleine schon durch diesen Namen gedemütigt und nannte sich nur noch mit den letzten drei Buchstaben seines Vornamens Jan Schlunzengruber.
Tizian, oder Jan hatte aber einen zynischen und gemeinen Gymnasial-Lehrer, welcher natürlich wusste, dass dieser Jan eigentlich Tizian hieß und er die ersten drei Buchstaben eigentlich wegbeschissen hatte, wie es der Lehrer nannte. Und in seiner Boshaftigkeit sprach er Tizian nur mit den ersten drei Buchstaben -nämlich Tiz- an. Dieser Name blieb ihm. Bis zum heutigen Tag. Auch in seinem Beruf als Journalist kennzeichnet er seine Texte stets mit „tiz“.
Zunächst versuchte er sich mit Glossen, Essays und Leitartikeln einen Namen zu schaffen. Sagen wir mal mehr oder weniger erfolgreich. Als dann eine große Wiener Boulevardzeitung einen Journalisten für die Medizin suchte, schlug Tiz zu; schließlich hatte er einige Semester Medizin studiert, ehe er später Germanistik studierte. Tiz bekam den Job und wurde von nun an ziemlich erfolgreich. Aber Tiz war ziemlich geldgierig und so kamen wir beide ins Spiel: Ich war für eine Werbeagentur tätig, die ausschließlich für die Pharma-Industrie arbeitete. Wie Sie, liebe*r Leser*in sicher schon bemerkt haben, ist es streng verboten, in der Öffentlichkeit für verschreibungspflichtige Medikamente Werbung zu machen. Eine Tatsache, die völlig gerechtfertigt ist, aber dem Produkt umsatzmäßig nicht unbedingt guttut. Ein Journalist hingegen darf jederzeit über ein neues Medikament berichten, welches die Ärzte für bestimmte Krankheiten jetzt verschreiben können. Also machte ich Tiz bei einem Heurigen in Neustift am Walde das Angebot, für Bakschisch Artikel in seiner Zeitung zu veröffentlichen. Das hatte den unvorstellbaren Vorteil, dass Patienten mit dem Zeitungsartikel in die Arztpraxen stürmten und dieses neue „Wundermittel“ von ihrem Arzt forderten. Denn dass das neue Medikament ein Wundermittel war, hatte Tiz im Artikel beschrieben. Mal mehr, mal weniger, das richtete sich nach der Höhe des Backschisch.
Zur Ehrenrettung der Pharmaindustrie muss ich allerdings klar sagen, dass bei Weitem nicht jedes Unternehmen sich diesen Kunstgriff aneignete. Ich bin auch davon überzeugt, dass das heutzutage nicht mehr stattfindet.
Jetzt wissen Sie, wie ich zu Tiz kam. Bei diesen Heurigen Abenden lernte ich in schöner Regelmäßigkeit seine hwG’s kennen. Sie wissen nicht, was hwG sind? Häufig wechselnde Geschlechtspartnerinnen.
Die allerdings ähnelten sich mit schöner Regelmäßigkeit: Immer spindeldürr, Kettenraucherin und elend viel Espresso und Weißwein trinkend. Also etwa genauso wie Tiz. Der tat das nämlich auch regelmäßig. Oft genug verließ ich den Heurigen mit einem torkelnden Tiz und einer seiner ebenfalls torkelnden Freundinnen. Einmal sollte er in der Nacht noch einen Artikel über ein neues Schmerzmittel schreiben, erwies sich aber als völlig unfähig, überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen. So kam es, dass ich den Artikel unter dem Namen „tiz“ auf seinem Computer schrieb und ihn noch in der Nacht an die Redaktion gesendet habe, während beide im tiefen Rausch im danebenliegenden Schlafzimmer den Schlaf des Gerechten (oder des ungerechten) schliefen. So viel Eitelkeit muss ich mir gönnen: Am nächsten Nachmittag rief mich Tiz an und meinte: „I woar so angsoffen, dass i gar nimmer weiß, was i do gschriebn hab. Aber klappt hot’s ja und ich muss sagen, es war einer meiner besseren Artikel“.
Zeitsprung. Eines Tages kam Tiz und sagte mir, dass er sich während einer Bahnfahrt Hals über Kopf in eine Mitreisende verliebt habe. „Ein Engerl, ein unfassbarer Mensch, eine Fügung des Schicksals“. Wow, diese Worte aus seinem Mund? Hätte ich vorher nicht geglaubt. Beim nächsten Treffen im Cafè Bräunerhof fiel mir allerdings auf, dass er statt seinem Viertel Grünen Veltliner ein Kracherl trank (Das ist eine weiße Zitronenlimonade).
„Seit ich Kheira -so hieß die Glückliche und Beglückende- kennen gelernt habe, habe ich keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken und keinen Tschik mehr geraucht“, schwärmte Tiz.
„Au, dann muss es Dich aber voll erwischt haben“, sagte ich voller Überraschung, denn eine solche Veränderung seines Lebenswandels hielt ich für schlichtweg unmöglich. Welchen Liebreiz musste diese Dame während einer Bahnfahrt ausgestrahlt haben, dass Tiz, ausgerechnet Tiz, von dem ich dachte, dass er zu wirklicher Liebe gar nicht fähig ist, derart die Fassung verliert.
„Diese Kheira muss ich kennenlernen“, schob ich nach.
„Sie kommt gleich“, versprach Tiz.
In Erwartung einer spindeldürren Frau mit zwei Steckenbeinen, einer nur andeutungsweise erkennbaren Brust unter einem seit mindestens einer Woche getragenen Stickpulli und etwas zerzausten Haaren, bekam ich den Mund nicht mehr zu, als Kheira zu uns an den Tisch kam. Sie musste aus Indien oder Pakistan kommen, zumindest aus dem indoasiatischen Raum. Das war der erste Eindruck. Und Kheira war hübsch. Bildhübsch. Und sie wirkte seht gepflegt. Das hatte mich gewundert, denn die bisherigen „Liebschaften“ Tizians waren eher das, was mich nicht besonders an Damen freute: Das Diskutieren, Rauchen und Saufen hatte viel mehr Bedeutung, als die Körperpflege. Was mich aber total aus der Bahn warf, war ihre Figur: Zwei richtig stramme Oberschenkel, darüber eine Sitzfläche von Rubensischen Ausmaßen und weiter oben ein Busen, auf dem man einen Teller hätte abstellen können. Am liebsten hätte ich gesagt:
„Der war gut, aber jetzt hast mich genug gepflanzt.“ (Ungefähr: verarschen kann ich mich selber), aber die Höflichkeit der Dame gegenüber ließ es mich nicht tun. Aber die Beiden verließen nach kurzer Zeit das Lokal und gingen Hand in Hand von dannen. Dass Tiz sein Stammbeisl so früh verließ, verwunderte den „Herrn Ober“ sehr.
„Was will denn der mit dieser Doppelärschigen?“ fragte er mich kopfschüttelnd. Und das war noch gnädig. Tiz‘ Kollegen in der Redaktion waren da wesentlich unflätiger.
„Was willst mir dem Brauereigaul“, oder „die besteht ja nur aus Arsch und Titten“, waren noch die vornehmeren Kommentare. Aber Tiz ließ sich nicht beirren. Er wurde binnen kürzester Zeit zu einem völlig anderen Menschen. Zu meinem Leidwesen auch zu einem anderen Journalisten. Keine bezahlten Artikel mehr für neue Medikamente, sondern vielmehr philosophische Glossen über Mahatma Gandhi, Jawaharlal Nehru und Indira Gandhi. Er machte das derart hervorragend, dass der Chefredakteur seiner Zeitung ihm eine wöchentliche Glosse einräumte.
Für mich war diese Entwicklung alles andere als erfreulich, denn einen Ersatz für Tiz zu finden, war nahezu unmöglich; zumindest nicht zu den Konditionen, die ich mit Tiz ausgehandelt hatte. In seinem Stammbeisl war er kaum mehr anzutreffen, dafür konnte man ihn öfter im „Taj Mahal“, einem ziemlich noblen indischen Restaurant in der Rotenturmstraße antreffen. Nachdem ich der fernöstlichen Küche aber seit jeher abhold bin, wurden die Treffen immer seltener.
Ein Jahr später.
Einem Branchen ondit zufolge hatte Kheira von einem Onkel ein sehr gut gehendes Touristen-Hotel in Colombo geerbt. Sie ging schon mal voraus nach Ceylon; Tiz sollte ein halbes Jahr später folgen. Irgendwann einmal kam er wieder in unser Stammbeisl und erzählte mir stolz davon. Zunächst sporadisch, dann wieder regelmäßig. Danach kamen die Tschiks wieder und anschließend der Grüne Veltliner. Ganz zum Schluss kamen die dürren Damen wieder.
Der Grund dafür: Von heute auf Morgen kam der Tourismus in Colombo in den späteren 80-er Jahren zum Erliegen. Tiz Aussichten als wohlbestallter Hotelier auf Sri Lanka sanken auf den Nullpunkt. Was aus Kheira wurde, erfuhren wir nie. Ob sich Tiz jemals um ihr Wohlergehen gekümmert hat? Ob er jemals nach ihr gefragt hat? Ob er jemals versucht hat, Sie zu finden. Er schwieg wie ein Grab, sobald der Name Kheira genannt wurde. Aber er schrieb wieder für mich gekaufte Artikel, was es für mich einigermaßen erträglich machte, obwohl ich schon sehr gerne gewusst hätte, was aus der strammen Schönheit geworden ist. Das Verhältnis zu Tiz jedenfalls sank auf ein rein Geschäftliches, denn seine Charakterlosigkeit konnte ich ihm nie verzeihen.
Ende
Anmerkung: Diese Geschichte gehört zu der Sorte, die man längst verdrängt, ja fast vergessen hat. Und nur durch einen reinen Zufall ist sie aus dem Unterbewusstsein wieder zum Vorschein gekommen. Das kam so: Auf You Tube sehe ich mir sehr gerne Boogie Woogie Pianisten an. In einem Londoner Bahnhof spielt immer ein graumellierter Herr mit Sonnenbrille, den ich mir besonders gerne ansehe. Auf einem dieser You Tube Filme ging plötzlich eine Dame durch’s Bild. „Das ist ja Kheira“ durchfuhr es mich. Jetzt hat You Tube den Vorteil, dass man sich den Film beliebig oft ansehen kann und sogar das Bild stoppen kann, was ich natürlich tat. Und wirklich: Die Dame sah aus wie Kheira, sie hatte diesen gewinnenden Gesichtsausdruck und sie hatte genau dieselbe Figur. Doch dann schaltete sich das Gehirn ein: Seit ich sie zuletzt gesehen hatte, waren ungefähr 40 Jahre vergangen. Und die Dame auf dem Film war Mitte 20. Es kann also höchstens die Tochter, wenn nicht gar die Enkelin Kheira‘s sein. Denn Kheira musste die 60 schon vor ein paar Jahren überschritten haben. Ich habe mit „Snipping tool“ das Bild heruntergeladen und auf Umwegen an Tiz geschickt. Eine Antwort habe ich bis heute nicht erhalten. Ich habe die Geschichte nicht unter wahre Geschichten untergebracht, sondern unter erfundene Geschichten, denn das Ende der Liebe war noch wesentlich weniger nobel, als ich es hier beschrieben habe. Und natürlich habe ich die Namen und die Geschichte so verändert, dass niemand Rückschlüsse auf die wahren Protagonisten ziehen kann.